Donnerstag, 25. September 2008

Im Zug

Mal was anderes...

Morgens im Zug. Das Abteil ist mit vielen Reisenden gefüllt. Die meisten von ihnen Pendler. Man sieht ihnen ihre Müdigkeit an den Augen an. Viele halten die Lider geschlossen, andere starren mit müdem Blick zum Fenster hinaus auf die vorbeiziehende Landschaft.
Morgens im Zug hört man die klackenden Geräusche, die entstehen, wenn der Zug über kleine Unebenheiten der Schiene gleitet oder die Kupplung des einen Zugwaggons an die des Anderen stößt. Diese Geräuschkulisse wird abgerundet durch das laute Brummen des Zugmotors. Obwohl es laut ist, herrscht Stille. Heilige Stille. Außer dem Zug selbst spricht niemand am frühen Morgen.
Fast scheint es so zu sein, wie die große Trance- Sitzung eines Meditationsvereins. Andächtig lauschen einige Mitfahrer den monotonen Fahrgeräuschen des stählernen Ungetüms, das sie Kilometer für Kilometer näher zu ihrem Tagwerk bringt. Ihre Gedanken kreisen sich gerade um Probleme, für deren eingehende Bearbeitung sie sonst zu viel im Kopf haben. Meistens tötet der morgendliche Zug aber alle Gedanken, sodass es oft bei dem sinnlos-aus-dem-Fenster-starren bleibt.
Am nächsten Bahnhof steigt, zunächst unbemerkt, ein junges Paar ein. Ihre Augen glänzen nicht vom Schlaf, der noch Tränen über die Pupillen treibt, sie glänzen vor freudiger Erregung, vor Erwartung.
Sie schauen in die Runde von Halbschlafenden und Halbwachen oder einfach nur Gelangweilten. Als ihr Blick nicht erwidert wird, setzen sie sich und begehen ein Sakrileg.
Sie beginnen miteinander zu sprechen.
Diese heilige, göttliche, stumpfsinnige Stille aus einem Mantel von Maschinen- und Fahrtgeräuschen wird abrupt unterbrochen.
Kein fröhliches Nichtsdenken mehr, kein Starren aus dem Fenster. Oh, diese Stille ist weg.
Die Pendler werden wieder auf die Erde geholt durch diese frevelhafte Tat.
Ein paar Worte und die Realität kehrt wieder ins Leben ein. Die Arbeit ist plötzlich zu nah obwohl der Zug noch zwei, drei, oder vier Bahnhöfe passieren muss bis zum Ziel.
Alle Augen sind auf das junge Paar gerichtet, die die Dämmernden erweckt hatten.
Als sie das merken, machen sie plötzlich betroffene Gesichter und sprechen nur noch leise weiter.
Doch es ist zu spät.
Das Sakrileg ist begangen und diese Stille nicht mehr so wie zuvor.

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